Faktensammlung: WASSER · MENSCH · ATLANTIK
WASSER · MENSCH · ATLANTIK
Faktensammlung
In Panels mit Expertinnen und Experten und auch im Rahmen der Ausstellung in der Halle 1 – Raum für Kunst im Glaspalast, blickt das Water & Sound Festival auf wichtige aktuelle Fragen rund um die Ressource Wasser. Als Wissens- und Inspirationsquelle zum Festival sind hier passend zum diesjährigen Themenschwerpunkt »Atlantik« sowohl historische als auch brandaktuelle Fakten und Zusammenhänge gesammelt.
Texte von Vihangi Kashmira Nanayakkara (kn), Susanne Lotter (sl) und Niklas Nathanael Wolf (nnw)
Der Golfstrom ist für das globale Klimageschehen in Europa, Afrika und Amerika verantwortlich und bestimmt jahreszeitliche Regenmuster in vielen Ländern rund um den Atlantik. Er transportiert das aufgeheizte Meerwasser aus dem Süden in den Norden des Atlantiks und fungiert so als Wärmepumpe. Die warme Luft, welche über den Golfstrom aufsteigt, sorgt in Europa für ein mildes Klima und ausreichend Niederschläge.
Insgesamt befördert er pro Sekunde etwa 32 Millionen Kubikmeter warmes Wasser vom Äquator in den Norden, das entspricht 30-mal der Wassermenge von allen Flüssen der Erde gemeinsam. Dadurch ist er ein Teil eines großen Förderbandes im Atlantik, das von der Südküste Afrikas über den Golf von Mexiko bis zum Nordatlantik reicht. Das Wasser kühlt auf dem Weg in den Norden ab und verdunstet. Je mehr Wasser verdunstet, umso mehr steigt der Salzgehalt und damit das Gewicht des Wassers. Dies führt dazu, dass nahe südwestlich von Grönland das Wasser so schwer ist, dass es in die Tiefen des Meeres absinkt. Es entsteht eine Sogwirkung, welche ständig neues tropisches Wasser aus dem Golf von Mexico anzieht und auf dem Weg nach Europa auf den Meeresgrund fließen lässt. So gelangt das abgekühlte Wasser wieder auf den Meeresboden und fließt zurück in den Süden. Somit beginnt der Kreislauf wieder von vorne.
Durch den Klimawandel wird der Golfstrom jedoch bedroht. Denn durch das übermäßige Abschmelzen der Polkappen könnte es zu einer Verringerung des Salzgehalts im Meerwasser kommen. Dies könnte die Golfstromzirkulation in Zukunft verlangsamen. Im schlimmsten Fall legt es den Golfstrom vollständig still, wenn das Wasser nicht mehr schwer genug wäre, um auf den Meeresboden zu sinken. Bei langfristiger Abschwächung wirkt sich dies auf das Wetter und Klima aus und sorgt für einen Anstieg des Meeresspiegels, was besonders für Inseln und Küstengebiete zur Gefahr wird. Die Auswirkungen wären in vielen Regionen der Erde spürbar. Beispielsweise sind ebenso katastrophale Veränderungen der atlantischen Hurrikan-Aktivität, des Regens in der Sahelzone oder des Indischen Sommermonsuns abzusehen. In Europa drohen Extremwetterereignisse.
Das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, ist abhängig vom Fortbestand des Golfstroms. Internationale Forschende untersuchten die Veränderungen im Strömungssystem der vergangenen 100 Jahre und stellten fest, dass sich ein Teil des Nordatlantiks im Gegensatz zu den
allermeisten Meeresregionen abkühlt. Laut den Untersuchungen ist bereits eine beginnende Verlangsamung der Strömung in den letzten Jahrzehnten festzustellen, mit Tendenz zu einer deutlichen Verlangsamung. Das Stillstehen des Golfstroms wäre ein Kippelement im Weltklima,
welches noch nicht absehbare Veränderungen mit sich bringen würde. (kn, sl)
Quellen
• tagesschau.de
• idw-online.de
• geomar.de
• wie-funktioniert.com
• esa.int
• zeit.de
• deutsches-klimakonsortium.de
• ardalpha.de
Steigende Ozeantemperatur sowie Nährstoffmangel, verursacht durch die Erderwärmung, führen zu großflächigem Korallensterben. Korallen leben mit Algen in einer symbiotischen Gemeinschaft und verdanken ihnen die bunten Farben. Außerdem versorgen die Algen die Nesseltiere auch mit einem Großteil ihrer Energie, die sie zum Überleben benötigen. Bei andauernder Erhöhung der Wassertemperatur müssen die Korallen gegen den Hitzestress ankämpfen. Um zu überleben, stoßen sie die mikroskopisch kleinen Algen ab. Damit verlieren die Korallen ihre bunten Farben und ihr Wachstum stagniert. Dies wird Korallenbleiche genannt. Üblicherweise wird dieser Zustand ab einer Wassertemperatur von 32 Grad erreicht. Laut Forschenden der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und der International Coral Reef Initiative (ICRI) sind Korallen weltweit von der Korallenbleiche betroffen. Im Jahr 2023 wurden besonders bedrohliche Bleichen vor der Küste Mittelamerikas, Nordamerikas und der Karibik festgestellt. Die Korallenbleiche vor Florida trat wohl bereits vor der üblichen »Bleichsaison« auf. Typischerweise ist die kritische Temperatur für Korallen ab Mitte August nach den warmen Sommertemperaturen erreicht, den Nesseltieren drohte aber bereits Ende Juli eine kritische Situation, sollte es zu keiner Abkühlung kommen. Bei einer zu lange andauernden Korallenbleiche sterben die Korallen ab und zerfallen.
Das Absterben der Korallen könnte starke Auswirkungen für die Wirtschaft und die Lebensgrundlage der in Küstennähe lebenden Menschen haben. Korallenriffe dienen als Lebensraum für viele Fische und sind somit ergiebige Fischfanggebiete, aber auch der Tourismus profitiert von der bunten Unterwasserwelt. Die International Coral Reef Initiative (ICRI), ein Zusammenschluss von 101 Mitgliedern, setzt sich unentwegt für die Umsetzung von Managementplänen für Riffe ein, um deren Resistenz zu stärken. Denn wenn sich die Wassertemperatur frühzeitig normalisiert, können sich die Korallen wieder vollständig erholen. (kn, sl)
Quellen
• deutschlandfunk.de
• idw-online.de
• tagesschau.de
• tagesschau.de
• spiegel.de
• tagesschau.de
Die Fischgründe Westafrikas gehören zu den reichsten der Welt. Trotzdem können die einheimischen Fischer nicht mehr vom traditionellen Fischfang leben. Umweltorganisationen konnten Fangflotten aus China, Russland und der EU durch GPS und Satelliten nachverfolgen und so nachweisen, dass diese ihre bereits großzügigen Fanglizenzen überschreiten und somit illegal überfischen. Beim jährlichen Treffen der North East Atlantic Fishery Commission (NEAFC) werden die Fangquoten für die jeweiligen Länder beschlossen. Dabei werden jedoch immer wieder die Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler missachtet und zu hohe Quoten zugewiesen. Das wirtschaftliche Interesse im Fischfang wiegt weiterhin höher als die negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Damit wird das Aussterben einiger Fischarten riskiert. So sind zum Beispiel die Hering-Bestände gefährdet und die Kabeljau-Bestände in europäischen Gewässern bereits zusammengebrochen. Umweltorganisationen wie Pro Wildlife und der WWF versuchen Schlimmeres zu verhindern, indem sie auf die systematische Überfischung aufmerksam machen.
Auch die Regierung von Senegal versucht, durch Kontrollen gegen die illegale Überfischung anzukämpfen, jedoch finden die ausländischen Schiffe meist Auswege. Während die Einheimischen ihre traditionellen Fangtechniken beibehalten, welche über Generationen weitergegeben wurden, sind die ausländischen Flotten technisch modern ausgestattet und erzielen dadurch weitaus höhere Erträge. Die Überfischung führt wiederum dazu, dass den einheimischen Fischern immer weniger Beute mit ihren traditionellen Methoden ins Netz gehen. Die Bevölkerung von Senegal verliert dadurch nicht nur eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen, sondern ebenso eine unverzichtbare Nahrungsquelle. Viele Fischer in Senegal leiden daher unter Perspektivlosigkeit und träumen von einem Leben in Europa. (kn, sl)
Quellen
Wasser ist die Grundlage für alles Leben auf der Erde, doch diese lebenswichtige Ressource wird immer knapper. Bereits jetzt leben 2,3 Milliarden Menschen (ca. 30 % der gesamten Erdbevölkerung) in Gebieten, die unter Wasserknappheit leiden und die Zahl droht sich in naher Zukunft auf 5 Milliarden zu erhöhen. Die Verfügbarkeit von Süßwasser nimmt durch die Klimakrise, Bevölkerungswachstum sowie wirtschaftlichen Fortschritt ab. Besonders Afrika hat durch die Klimakrise mit sehr großen Dürren zu kämpfen. Beispielsweise werden im südlichen Teil Afrikas zukünftig 10–15 % weniger Niederschlag erwartet. Landwirtschaft ist für viele Menschen die Haupteinnahmequelle und die zunehmenden Dürren führen zu starker Armut und Existenzangst in vielen Gebieten des Kontinents.
Dadurch stellt Wasserknappheit einen großen Konfliktfaktor dar. In vielen afrikanischen Ländern kam es vermehrt zu Gewalt um die beschränkte Ressource. In Nigeria sind 75 % der Wasser- und Sanitärversorgung in den Konfliktgebieten zerstört worden, so dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser für mehr als 3,5 Millionen Menschen unterbrochen ist. Ein großes Thema sind auch Energieengpässe, welche durch Regierungen oft mit dem Bau neuer Staudämme überwunden werden. Dabei kommt es häufig zu Konflikten, wenn dadurch die Wasserquellen für flussabwärtsliegende Länder verringert werden. Die dabei entstehenden ökologischen Schäden werden dabei meist außer Acht gelassen.
Die Grenzziehung im Süden Afrikas ist oft am Verlauf der Flüsse orientiert. Dies birgt sowohl Konfliktpotenzial also auch die Möglichkeit für Kooperationen zwischen den Ländern. Ein Beispiel für solch eine Kooperation ist das Abkommen zwischen Angola und Namibia über die gemeinsame Wassernutzung des Grenzflusses Kunene, welches als »Kunene Transboundary Water Supply Project« bekannt ist. Das Abkommen stellt die Wasserversorgung für die Bewohnerinnen und Bewohner der Grenzregionen sicher, wobei vor allem die Bevölkerung im Süden Angolas davon profitiert. Eines der wertvollsten ökologischen Gebiete im südlichen Afrika ist das Okavangodelta. Der Okavango fließt als Grenze zwischen Angola und Namibia nach Botswana in das größte Süßwasserfeuchtgebiet des südlichen Afrikas inmitten einer Wüste. Botswana ist auf die flussaufwärts liegenden Anrainerstaaten angewiesen, damit das sensible hydrologische Gleichgewicht aus Zufluss und Verdunstung nicht gestört wird. Daher wurde die »Permanent Okavango River Basin Commission« ins Leben gerufen, welche die adäquate Nutzung des Flusswassers überwacht.
Kooperationen zur Vermeidung von Konflikten können verschiedene Formen annehmen. Diese können von einfachen Verträgen über multinationale Initiativen bis hin zu speziellen Behörden reichen, die für die Verwaltung gemeinsamer Einzugsgebiete zuständig sind.
»Es wird gesagt, dass die nächsten Kriege über Wasser geführt werden. Aber mit diesen Vereinbarungen stellen wir sicher, dass das Wasser stattdessen zu einem Instrument des Friedens wird.« – Kenneth Msibi, Experte für Wasserpolitik und -strategie der SADC. (kn, sl)
Quellen
Das Amazonasgebiet erstreckt sich über neun südamerikanische Länder (Brasilien, Peru, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Bolivien, Guyana, Surinam und Französisch-Guayana) und weist eine Fläche von über sieben Millionen Quadratkilometern auf oder 20-mal die Fläche von Deutschland. Amazonien umfasst den Fluss Amazonas, den Amazonas-Regenwald sowie das gesamte damit zusammenhängende Ökosystem, welches als Gebiet mit einer der höchsten Biodiversität der Erde gilt. Der längste Fluss der Erde ist auch der Hauptstrom des größten Fließwassersystems auf unserem Planeten. Er ist mit mehr als 10.000 Zuflüssen verbunden, von denen ein Zehntel bedeutende Nebenflüsse sind. Das tiefe Flussbett ermöglicht Überseeschiffen die Fahrt bis ins peruanische Iquitos. Sogar in Trockenzeiten lässt sich eine Breite von 20 Kilometern messen. An seiner Mündung ist er sogar 250 Kilometer breit – einmal die Strecke von Augsburg nach Mannheim – und 160.000 Kubikmeter Süßwasser fließen pro Sekunde in den Atlantik, das entspricht 1.230 Berliner Aquarien.
Im Amazonasgebiet bereitet eine Jahrhundertdürre den Menschen und Tieren große Schwierigkeiten. Die Trockenzeit zwischen Juni und Oktober ist zwar ein immer wiederkehrender Prozess, doch in den vergangenen Jahren hat sich diese Situation besorgniserregend verstärkt. Die Wetteraufzeichnungen vom Herbst 2023 gingen in die Geschichte ein. Es wurden Flusswassertemperaturen von über 40 Grad Celsius gemessen. So stiegen viele Flüsse des Amazonas auf den niedrigsten Pegel, der bisher aufgezeichnet wurde. In Folge der Dürre starben viele Fische und zahlreiche Brunnen trockneten aus. Die Bevölkerung, die an den Flüssen beheimatet ist, hat dadurch mit Existenzproblemen zu kämpfen. Die Flüsse waren durch den flachen Wasserstand nicht mehr als Verkehrswege nutzbar, viele Gemeinden in der Region sind jedoch nur per Schiff zu erreichen. Sie waren somit von der Welt abgeschnitten und Kinder konnten beispielsweise nicht mehr zur Schule gelangen. An Orten, wo der Schiffverkehr noch gegeben ist, steigen wiederum die Preise von Lebensmitteln und bedrohen auch die Menschen in den weiteren Gebieten.
Zwar könnte die Dürre auf das etwa alle vier Jahre auftretende Wetterphänomen El Niño zurückzuführen sein. Das Phänomen sorgt dafür, dass an der Südspitze Südamerikas mehr und im Norden bei steigenden Temperaturen weniger Niederschlag fällt. Doch auch der vom Menschen verursachte Klimawandel ist ein ausschlaggebender Faktor. Vermehrte Dürreperioden sorgen beim zweitgrößten Nebenfluss des Amazonas zum niedrigsten Pegelstand seit Messungen vor 121 Jahren. Im Hafen von der Millionenstadt Manaus wurde ein Wasserstand von 13,5 Metern festgestellt, was ein historisches Tief darstellt. Teile des Hafens sind komplett ausgetrocknet. Solche Situationen sind leider keine Ausnahme im Amazonas, denn 90 % der Gemeinden sind von dieser extremen Dürre betroffen. So wurden auch im Lago Tefé – ein See im brasilianischen Amazonasgebiet – mehr als 100 tote Süßwasserdelfine entdeckt. Forschende gehen davon aus, dass deren Todesursache auf das über 39 Grad warme Seewasser zurückzuführen ist. (kn, sl)
Quellen
• geo.de
• planet-wissen.de
• regenwald-schuetzen.org
• greenpeace.org
• yaqupacha.de
Bereits seit über 3.000 Jahren gibt es auf der ganzen Welt Sklaverei. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert brachten europäische Handelsleute Menschen aus West- und Westzentralafrika über den Atlantik nach Amerika. Diesem Sklavenhandel liegt ein transatlantisches Handelsdreieck zugrunde. Die Reise startete in Europa. Von dort brachten die Händler europäische Waffen, Alkohol und Stoffe nach Westafrika, um sich Menschen zu kaufen. Mit den Schiffen brachten sie die Sklaven auf einer sechs bis achtwöchigen Reise über den Atlantik hauptsächlich nach Lateinamerika. Die Überfahrt über die Mittelpassage, dem Seeweg von Afrika nach Amerika, war für die Sklaven geprägt von Grausamkeit und Entwürdigung. Millionen afrikanische Menschen starben dabei. Die Afrikanerinnen und Afrikaner, die die Überfahrt überlebten, wurden wieder verkauft und als Arbeitskräfte versklavt. Die europäischen Handelsleute brachten die erworbene Ware, wie Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Rum, Gold und Silber, später auch Baumwolle nach Europa. Diese Güter waren wiederum durch die versklavten Menschen erwirtschaftet worden.
Durch die gewaltsame Entwurzelung aus der Heimat wurden Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner ihrer Identität beraubt. Landwirte, Priester, Soldaten, Musiker, Eheleute und Eltern wurden zu Sklaven. Auch ihre Stammesidentität ging durch die Versklavung verloren. Die Überlebenden der Verschiffung wurden über die amerikanischen Kontinente und in Westeuropa verstreut. Diese weltweite Zerstreuung wird als afrikanische Diaspora bezeichnet.
Besonders im 19. Jahrhundert wurde der Sklavenhandel von Brasilien nach Afrika stärker, welcher nicht dem transatlantischen Handelsdreieck folgte. Dieser Sklavenhandel wurde aber ebenfalls von den Kolonisten in Amerika vorangetrieben.
Das transatlantische Handelsdreieck bestand damit aus Europa mit dem Vermögen, Afrika mit den Arbeitskräften und Amerika mit dem verfügbaren Land und den Ressourcen. Profitiert hat dabei vordergründig jedoch der europäische Markt. Der transatlantische Sklavenhandel ist dennoch die Geschichte aller drei Kontinente. (sl)
Quellen
Inhaltlich und terminologisch geprägt von dem Soziologen Paul Gilroy (The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness, 1993) umschreibt der räumlich anmutende Begriff »Black Atlantic« nicht nur einen geographisch eingegrenzten Bereich. Er umfasst vielmehr fluide Manifestationen Schwarzer Kultur zwischen dem afrikanischen Kontinent und dessen Diasporen – und im Sinne Gilroys darüber hinaus auch deren Bedeutung für westliche Modernen, die ohne koloniale Schrecken nicht denkbar seien. Gilroy fokussiert in seinem Text auf die multiplen Ausprägungen dessen, was er als Teil zwar dezidiert Schwarzer, aber eben geographisch und regional fragmentarischer, fluider Kultur mit prägenden Einflüssen auf ebenso unsichere Konstrukte von Identität, Herkunft und Nationalität versteht. Der Autor verdeutlicht die Verbindung zwischen Ideen westlicher Nationalismen und deren Grundbedingung des Weißseins und damit der diskursiven Ausgrenzung Schwarzer Menschen. Der Black Atlantic sei jener Raum der Kolonisation und Verschleppung Schwarzer Menschen und der sich in diesen Bereichen zwangsweise manifestierenden kulturellen Äußerungen. In weiteren Aktualisierungen kann der »Black Atlantic« als ein verstecktes Archiv der Middle Passage gelesen werden (Sharpe 2020). Der Begriff Middle Passage bezeichnet den im Wortsinn mittleren Weg des triangulär gedachten transatlantischen Menschenhandels. Nachdem mit europäischen Waren beladene Schiffe an der Westküste Afrikas Güter abgeladen hatten, nahmen sie Millionen afrikanischer Menschen auf, verschleppten diese vor allem in die Amerikas, kehrten nach Europa zurück und begannen ihre Route von Neuem.
Aus diesem atlantischen (Denk)Raum, einer gleichsam diagonalen Überbrückung zeitlicher und geographischer Strukturen, hervorgegangene kulturelle Praktiken wären demnach als ein geradezu immaterielles Archiv dieser Wege der Verschleppung und des damit einhergehenden Wissensflusses zugleich zu verstehen. Für geographische Räume, die geprägt vom Nachhall kolonialer Verbrechen und Strukturen sowie deren Bedingungen für die Gegenwart sind, bedeutet das, afrikanische Diasporen als Produkt gewaltvoller Verschleppung zu markieren. Im Sinne Gilroy’s Black Atlantic wird darüber hinaus diese Bewegung nicht als »pfeilgerade« verstanden, sondern die der Middle Passage inhärenten Brüche und traumatischen Wellen und Wirbel als eine »Chronotopie multipler Starts und Stops (…) mit unerwartete Mustern der Wiederholung, Umleitung und Rückkehr« (Mercer 2010) erkannt. Geographische Räume und national-politische Konstruktionen werden folglich gleichsam im Wortsinn verflüssigt; der karibische Raum bspw. als »liquid continent« beschrieben. Paul Gilroy argumentiert seine Begriffe des Black Atlantic nahe an der Musik, eine der nicht greifbaren Materialwerdungen kolonial-atlantischer Wege, die Zeit und Rhythmus verbindet. Aber auch Performances und und Tanz können als kodierte Formen spezifischen (Körper) Wissens – einem »Body of Knowledge« in mehrfacher Hinsicht – analysiert werden. Deutlich wird die enge Verbindung zwischen Körpern, deren Performanz und dem ihnen eingeschriebenen, in ihnen gespeicherten und von ihnen ausagierten Wissen. Häufig wird dieses Wissen durch spirituelle Praktiken, wie die des Vodun (einer eng mit Naturwissen verbundenen Praxis der Regulierung und Richtung des Alltags mit Ursprüngen in Westafrika) und seinen diasporischen Anpassungen, transportiert, aktiviert und vermittelt. In der Vergangenheit wurden solche Phänomene ästhetischer, narrativer und eben auch spiritueller Einschreibung, eines inhaltlichen und performativen Nachhallens, als »Flash« der Spirits (Westafrikas) beschrieben (Thompson 1983). Das Meer wird dann um spirituelle Dimensionen spezifischer, transnationaler Epistemologien (Erkenntnistheorien) erweitert. Der atlantische Raum des 15. Jahrhunderts und dessen Folgen sind eben nicht nur Handelsraum, sondern geographisch und materiell codierte Repräsentationen des Selbst (Roach 1996) und den Imaginationen des Gegenüber.
Die Räume des Black Atlantic sind solche der fluiden Prozesse des Austausches. Der Dichter und Mitbegründer des Carribean Artist Movements Kamau Braithwaite prägte in diesen Kontexten die Idee der »tidalectics«. Es ist eine terminologische Verbindung der Gezeiten und des dialektischen Diskurses des Atlantik, die das Vor und Zurück, das Schwingen und Fließen epistemologischer Räume umfasst und auf die zyklischen Bewegungen des Wassers verweist (Pressley-Sanon 2013). Der Black Atlantik kann dann verstanden werden als Ort der Aushandlung, der Übersetzung konzeptueller Ideen und deren greifbarer (bspw. ästhetischer) Manifestationen. Darin agierende Körper erscheinen dann als Orte der Produktion und Re-Produktion von Wissen. Der Black Atlantic ist folglich ein epistemologischer Raum, voller Zeichen, Verweise, multiformal und fragmentiert. (nnw)
Quellen
• Braithwaite, Edward Kamau: The Arrivants: A New World Trilogy — Rights of Passage / Islands / Masks, Oxford 1988
• Danielas, Kyrah Malika: »She Wears the Mask: Black Atlantic Masquerade in the Work of Carrie Mae Weems,« in Carrie Mae Weems: Strategies of Engagement Exhibition Catalogue, eds. Robin Lydenberg and Ash Anderson. Chicago, IL: University of Chicago Press and McMullen Museum of Art, Boston College, 2018
• Gutiérrez, Jorge Luis: Edouard Duval-Carrié. An exceptional Epiphany of Haiti, the Caribbean and the Tropics, in: PopArte Gelria (ed.): Mackandal. Edouard Duval-Carrié. Une Homenaje a el reino de este mundo de Alejo Carpentier, Madrid 2017
• Mercer, Kobena: Cosmopolitan Contact Zones, in: Carson, Tanya; Gorschlüter, Peter (eds.): Afro Modern. Journeys through the Black Atlantic, 2010
• Pressley-Sanon, Toni: Exile, Return, Ouidah, and Haiti. Vodun’s Workings on the Art of Edouard Duval-Carrié, in: African Arts AUTUMN 2013
VOL. 46, NO. 3,
• Roach, Joseph: Cities of the Dead. Circum-Atlantic-Performance, New York 1996 Sharpe 2020 Sharpe, Jenny: Immaterial Archives. An
African Diaspora Poetics of Loss, Illinois 2020
• Thompson, Robert Farris:Flash of the Spirit. African & Afro-American Art & Philosophy, New York 1983
Was haben die Augsburger Fugger und Welser mit dem Atlantik zu tun? In Europa trieben sie den Handel voran und bauten wichtige Handelsstützpunkte wie Antwerpen mit auf. Jakob Fugger, bekannt als Stiftungsvater, gründete mit durch den Handel verdientem Reichtum Stiftungen, die bis heute noch bestehen und Augsburg soziales und kulturelles Image prägen. Durch die europäischen Handelsbeziehungen pflegten beide Familien weltweit ihre Einflüsse und so auch über den Atlantik nach Amerika.
Sind die Fugger bei uns in Augsburg hauptsächlich durch die älteste Sozialsiedlung der Welt bekannt, gab es im 15. und 16. Jahrhundert auch Schattenseiten der Handelsfamilie. Durch den Silber- und Kupferhandel mit Portugal investierten die Fugger indirekt in teure Expeditionen nach Südamerika. Den Fuggern ist auch bekannt gewesen, dass die Portugiesen mit den von ihnen erworbenen Manillen (halboffene Ringe aus Kupfer, Messing oder Bronze) gefangen genommene Menschen aus Westafrika nach Südamerika als Sklaven verschifften.
Auch die Welser verdienten am Sklavenhandel in Südamerika. In Venezuela wurden Regionen kolonialisiert, Gebiete erschlossen und ausgebeutet. Um ihre Kolonie und die Expansion ins Innere des Landes zu finanzieren, verkauften die Welser Lizenzen zur Einfuhr von versklavten Afrikanerinnen und Afrikanern. Dies war der Höhepunkt des Überseehandels für die Augsburger Handelsfamilie, da ihnen durch Karl V. die spanische Statthalterschaft in Venezuela übertragen wurde.
Die Atlantikgeschichte setzt sich ab dem 15. Jahrhundert aus Handelsbeziehungen zwischen Europa, Afrika und Amerika zusammen. So wurden der Ozean und dieses Handelsdreieck zum Teil der Identität für viele Menschen. (sl)
Quellen
• fugger.de
• Fugger und Welser Erlebnismuseum, Augsburg